Wie ÜBLICHERWEISE MIT „VERHALTENSAUFFÄLLIGKEITEN“ UMGEGANGEN WIRD (TEIL2)

Bleiben wir bei der Metapher des Geschenks. Bleibt dieses ungeöffnet, bleibt der Fokus auf dem Verhalten. Zu voreilig wird eine Abklärung empfohlen. Dies schlägt sich nieder in deinem Blick auf dein Kind und deinem künftigen Verhalten, als Vater oder Mutter. Deine Sorge und der auf dir lastende Druck, wird spürbar für dein Kind. Die zusätzliche Abklärung, bedeutet, dass bei deinem Kind noch mehr Sicherheit (eines der 3 emotionalen Grundbedürfnissen) verloren geht und zeigt sich wiederum in seinem Verhalten. Ein nicht unbedenklicher Teufelskreis entsteht. Ich verstehe die Sorge und dennoch ist es wichtig, dass du als Vater oder Mutter die Sicherheit nicht verlierst. Erinnere dich; dein Kind ist weder krank noch hat es sonst eine Störung. Es verhält sich gesund in einer Umgebung, in der es sich offenbar nicht wohl fühlt um sich gut entwickeln zu können. 

Weshalb „Verhaltensauffälligkeiten“ auch ein „Geschenk“ sein Könn(t)en! (Teil1)

Vermehrt empfange ich Eltern, welche durch Kita-Fachpersonen oder Lehrpersonen über eine Verhaltensauffälligkeit bei ihrem Kind informiert worden sind. Diese sind sehr vielschichtig und können sich in unterschiedlicher Art und Weise zeigen. Jedenfalls führen sie meist dazu, dass sich die Fachpersonen an die Eltern wenden – was ja auch in einer Zusammenarbeit münden kann und erwünscht ist. Der Appell den an die Eltern gerichtet wird, lautet aber oft: «Machen Sie etwas – wir wissen nicht mehr weiter.» Ein grosser Druck der da auf die Eltern übertragen wird. Ein «Angriff», der selten das Gefühl hinterlässt – «ich habe als Mutter oder Vater versagt».

Mein Hinweis, dass die Verhaltensauffälligkeit des Kindes auch als Geschenk angesehen werden kann, führt im ersten Moment zu Verwirrung und später dann aber zur Entlastung.

Ein Kind welches sich auf irgendeine Art und Weise störend verhält, erzählt etwas über sich – es zeigt sich in seinem ungestillten emotionalen Bedürfnis! Da dürfen wir genauer hinsehen. Es fällt nicht leicht, das Verhalten nicht gleich zu bewerten und in der Folge mit einer Massnahme unterbinden zu wollen. Da sind wir alle gefordert.

Wenn es uns jedoch gelingt, das Verhalten nicht isoliert zu betrachten, dürfen wir erst einmal dankbar sein und uns fragen: «Was will uns das Kind mit diesem Verhalten mitteilen?» «Was braucht dieses Kind»? Und so gesehen, empfinde ich es als ein wertvolles Geschenk. 

Problematischer wird es, wenn Kinder in ihrem angepassten Verhalten «übersehen» werden. 

„Wie gut erzogen bist du?“

Hin und wieder ist es eine Notwendigkeit, sich Teilen seiner Haarpracht zu entledigen. So sass ich nun – im Antlitz meiner selbst und der Coiffeuse hinter mir stehend im Spiegelbild, wartend auf die flinken Hände, welche sich in den nächsten Minuten virtuos mit Schere und Kamm durch mein Haar arbeiten würden. 

Eine Arbeit, die es erlaubt – infolge jahrelanger Ausübung – sich währenddessen, über dies und jenes auszutauschen. 

«Das ist dein Verdienst – sie ist halt gut erzogen!» meinte die Haarkünstlerin zu mir, welche meine Tochter ebenso hin und wieder in ihrem Geschäft empfängt.

Kaum wahrnehmbar, jedoch innerlich zusammenzuckend, fast schon erstarrt, beleidigt ob dieser Worte, suchend nach tadelndem Wort, in Bedrängnis zur Verteidigung aufgerufen, brachte ich ein eher leises «das würde ich so nicht ganz unterstreichen» hervor. War ich nun geschmeichelt oder beleidigt?

Innerlich nach Worten ringend – fragend, wo ich bloss anfangen soll, was nun das Wesentliche wäre um diesen gefühlten Seitenhieb einen Ausgleich zu entrichten um meine innere Balance wiederzufinden, fuhr sie, sichtlich erfreut über ihr ausgesprochenes Kompliment mehr gedankenlos als überlegt, mit einem anderen Thema fort. 

Und ehe ich mich versah, nahmen tausende Haarenden Abschied von der Anbindung meiner Selbst und meiner Kopfhaut. Ärgerlich über mich, weil ich nicht über die notwendig treffende Schlagfertigkeit verfügt habe, nahm ich mir vor, dies zu ändern.

Nun sitze ich da, vor einem leeren Blatt Papier, welches geduldig zuhörend und nicht widersprechend darauf wartet, meine unausgesprochene Verteidigung, Erklärung oder im besten Falle Aufklärung, aufgedruckt zu bekommen. Und im selben Moment, macht sich in mir die Frage, über Anfang und Ende meiner Berichterstattung, welche mir ein wichtiges Anliegen zu sein scheint breit. 

Und da ich ja schliesslich auch gut erzogen bin – möchte ich den Lesern nicht ihre Zeit stehlen und gebe kurzerhand «gut erzogen, Synonym» in das World Wide Web ein und bediene mich eines «copy paste» Vorganges. 

  1. 1 Bedeutung: gehorsam. gehorsam erzogen lieb untertan ungefährlich willig zahm brav artig widerspruchslos lenkbar. … 
  2. 2 Bedeutung: brav. recht ergeben geschickt gehorsam lieb sanft ordentlich harmlos großartig willig brav zahm artig anständig gefügig gezähmt furchtlos.

Da bin ich doch erleichtert und dennoch hin und wieder zweifelnd und hoffend, in der Erziehung meiner Tochter versagt zu haben!

DOK-Sendung- Mein Leben und der Notenschnitt – vom Übertritt in die Oberstufe

https://www.srf.ch/play/tv/sendung/dok?id=3b016ffc-afa2-466d-a694-c48b7ffe1783

Berührend, hoffnungsvoll und besorgniserregend zugleich.

Beispielhaft werden uns die Sorgen, Ängste und Nöte – aber auch die Hoffnungen und Freuden der Kinder, die unter enormen Druck stehen aufgezeigt. Die Tragweite jedoch, ist womöglich auf den ersten Blick nicht erkennbar und sollte uns aufhorchen lassen. Gerade in dieser Entwicklungsphase sind die Erlebnisse und die Schlussfolgerungen, welche die jungen Menschen daraus ziehen, prägend und können für die weitere Persönlichkeitsentwicklung zukunftsweisend sein. Je nach Veranlagung, Temperament, Bindung und Umfeld, können sich in diesem Lebensabschnitt bereits dysfunktionale neuronale Bahnen bilden, von welchen man sagen kann, dass sie Tendenzen aufweisen, welche zur Entstehung einer Depression im jungen Erwachsenenalter beitragen können. 

Wenn junge Menschen für sich Strategien entwickeln (müssen!), damit sie sich wertvoll, geliebt und anerkannt fühlen, damit sie den (vermeintlichen) Erwartungen der Eltern, der Lehrer gerecht werden – damit sie nicht enttäuschen, sind wir als Gesellschaft auf dem falschen Weg. Und damit möchte ich die Eltern entlasten! Der gesellschaftliche Druck, welcher auf ihnen lastet, geben sie unbewusst an ihre Kinder weiter. Es entstehen Angst und die Sorge, dass es ihre Kinder, in der sehr leistungsorientierten Berufswelt womöglich nicht schaffen. Bereits kritische Blicke, können ein Gefühl hinterlassen; ich bin nicht gut genug und können Anlass sein, sich zu hinterfragen, sich falsch zu fühlen und daraus der Wunsch, alles dafür zu tun, den Eltern zu gefallen und sie unter keinen Umständen zu enttäuschen. Die subtilen Botschaften welche dann an die Kinder herangetragen werden, können sich zu tief verankerten Glaubenssätzen entwickeln und in nicht hilfreichen Strategien verfestigen. 

In meiner Praxis begleite ich junge erwachsene Menschen, welche keinen Zugang mehr zu ihren eigenen Gefühlen und  Bedürfnissen haben, da sie lediglich damit beschäftigt sind, Leistung zu erbringen, Erwartungen zu erfüllen und an sich selbst überhöhte Erwartungen zu stellen, niemanden zu enttäuschen, sich keine Fehler erlauben und dennoch nie zufrieden sind, mit sich. Dann stellt sich eine Leere, eine Hoffnungslosigkeit ein, sie sind erschöpft und abwertende Gedanken nehmen ihren Lauf. Sie fühlen sich schuldig und werden depressiv.

In den Elterncoachings, erachte ich es als hilfreich, Eltern den Druck zu nehmen, welcher sie unbewusst dazu veranlasst, mit verhaltenspädagogischen oder konditionierungsmassnahmen wie etwa Strafen, Freizeitenzug oder für gute Leistung belohnen etc. zu agieren und ihnen alternative Handlungsmöglichkeiten aufzeige.

Wie können wir in einem ersten Schritt dieser Entwicklung gegensteuern, ohne gleich das ganze Schulsystem und die Erziehung zu revolutionieren (obwohl ich nichts dagegen hätte). Ein schönes Beispiel ist im Beitrag zu sehen – die wohltuenden und ermutigenden Worte der Lehrerin: «Für dich habe ich keine Noten, sondern ein wahres Zeugnis. Vergiss nie du bist toll, du bist einzigartig, du bist viel mehr als deine Noten, glaub an dich, sei stolz auf dich, glaub an deine Träume! Es ist ganz wichtig, dass man nicht nur die Noten anschaut, sondern auch den Menschen. Ich finde es schön, dass du eine Leidenschaft hast, bleib da dran!» 

Kinder und Jugendliche können bereits früh in Coaching, Resilienztrainings

Was bewegt mich dazu, ein Resilienztraining für Kinder und Jugendliche durchzuführen

vermehrt die Erfahrung machen, den Wert zu schöpfen, aus sich selbst heraus wertvoll zu sein und zu erkennen, ich habe Wert für andere, ohne etwas tun zu müssen! 

 Mögliche Lösungsansätze:

  • Elterncoaching mit den Zielen und möglichen Themen:

Entlastung für Eltern zu schaffen

Umgang mit Notendruck

Gesellschaftlicher Druck

Alternativen zu Strafen/Belohnen/Entzug von Privilegien

Umgang mit Verantwortlichkeiten

Wie lasse ich Raum für emotionale Grundbedürfnisse wie Autonomie/Sicherheit/Verbundenheit?

Wie unterstütze ich mein Kind?

Wie entlaste ich mich und mein Kind?

Wie vermeide ich es, unbewusst nicht hilfreiche Botschaften zu senden? etc.

  • Resilienztraining für Kinder und Jugendliche

Eigene Stärken und Ressourcen entdecken

Persönliche Potentiale entfalten

Erkennen der eigenen Glaubenssätze als Antrieb des eigenen Handelns

Durch körperliche Erfahrung einen Zugang zu den eigenen Bedürfnissen, Visionen und Wünschen finden

Gruppendynamische Prozesse verstehen

Eigenes Handeln reflektieren

Stärkung des Selbstwertgefühles, des Selbstbildes und der Selbstwirksamkeit!

  • Aufklärung durch Eltern-Bildung

Vorträge

Elternkurse

Work-Shops

Regeln – Grenzen – Konsequenzen, in Zeiten von Corona

Kinder brauchen Regeln, Grenzen und Konsequenzen! So, tönt es nahezu unisono, wenn wir Erziehungsratgeber konsultieren oder Erziehungsberatungsstellen Auskunft geben. «Später einmal, müssen sie ja auch in der Lage sein, Regeln zu befolgen.» «Schliesslich sollen sie lernen, wenn ihr Verhalten nicht in Ordnung war und die Folgen «spüren.» 

In Zeiten von Corona, sollen wir uns nun auch an Regeln halten, Grenzen akzeptieren – wenn es darum geht, die Pandemie in den Griff zu bekommen. Die Konsequenzen bei Nichteinhaltung, bekommen wir dann schlussendlich auf dramatische Weise zu spüren. 

Was wir beobachten können, sind Menschen, welche sich an die vom Staat ausgesprochenen Regeln halten und sie ohne Weiteres befolgen.

Eine weitere Bevölkerungsschicht bleibt kritisch, hinterfragt, informiert sich, reflektiert und wägt ab, um adäquat zu handeln. 

Wiederum sehen wir einen Teil der Bevölkerung, welcher sich schwer tut mit der Einhaltung der Bestimmungen – sei es wegen Ermüdungserscheinungen, Uneinsichtigkeit, zum Trotz, aus Überzeugung oder – weil er sich übergangen, gekränkt, nicht ernstgenommen, fremdbestimmt und bevormundet fühlt? 

Es scheint gerade, als würden frühe Bindungs- und Beziehungsmuster reaktiviert (Trigger) und diese Gefühle aus der Kindheit stammend, in unkooperatives Verhalten und Widerstand münden. Ohnmachtsgefühle welche durch das Machtgefälle entstanden sind, muten an, unbewusst wieder aktiviert zu werden.  

Regeln sollen befolgt und bei Grenzüberschreitungen sanktioniert werden – beharrlich, ohne Wenn und Aber und möglichst konsequent. Dies auf Empfehlung – aber auf Kosten der Beziehung zu unseren Kindern!  Es kann das Familienleben erleichtern – doch häufig nur kurzfristig! Doch, die Gefühle, welche beim Kind zurückbleiben, sind nicht das, was Kinder zu selbstkritischen, eigenverantwortlichen und selbstbewussten Erwachsenen macht. 

Machen wir aus Regeln, Regelungen oder Vereinbarungen, welche gemeinsam erstellt werden. Wahren wir die Grenzen unserer Kinder und sie lernen auch unsere zu wahren. Verzichten wir auf Konsequenzen, welche nichts anderes als Strafen sind und den andern klein machen und demütigen.